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„Hurra!“ schrie es aus dem Felsen, „Yippieh, heio“ und „Platz da!“ gurgelte es aus den Ritzen und Spalten. Doch war es nicht der Stein aus dem die Freudenrufe sprudelten, es waren Tropfen einer Quelle, die kaum erwarten konnten dem Dunkel der Erde zu entfliehen und der Sonne der Freiheit entgegen zu springen, gierig auf neue Erlebnisse. Es war ein sonniger, kühler Frühlingstag. Die Schneeglöckchen waren schon am Verblühen, das Gras strotze satt grün aus der Erde, mit feinen Wasserperlen an den Spitzen. Der Felsen war nicht groß und halb mit Moos überwuchert. An einer Seite war er gespalten, als ob ein Schwert den Felsen entzwei geschlagen hätte. Und daraus sprudelte die Quelle. Nicht viel Wasser, aber immerhin so stark, dass sich ein bunter Regenbogen um den Felsen abzeichnete. „Endlich wieder Luft und Licht“ japste atemlos ein Tropfen, nachdem er in hohem Bogen aus dem Felsen geschleudert war. Ein kleiner Tropfen, in dem sich das Licht wie in einem Diamanten brach, rief ataraktisch „ich bin ein Twingulär!“ ehe er ob der kleinen Größe noch in der Luft durch die Kraft der Sonne verdunstete. „Platz da!“ rief ein Tropfen, als er gerade in den jungen Bergbach tauchte. Ein zweiter Tropfen platschte gleich daneben in die Gischt. „Das war knapp“, dachte Koblumus, der erste Wassertropfen. „Fast hätten wir uns vermischt.“ „Wer bist du?“ fragte Koblumus unverblümt. „Ich“, antwortete der andere Tropfen, der im Bach als solcher für unsere Augen gar nicht mehr unterscheidbar war, „ich antworte nur den Tropfen, deren Namen ich kenne“, entgegnete verschmitzt der andere Tropfen. Koblumus war ein wenig verwirrt, als ein dritter äusserst verführerische Tropfen sich einmischte: „Darf ich mich vorstellen, ich bin Schminkel. Wer seid ihr?“ „Koblumus,“ ergriff unser Tropfen das Wort, „und zwar höchstpersönlich!“. Schminkel kicherte daraufhin einfältig und fragte den dritten Tropfen: „Wer bist du?“ „Ich bin Marco“ entgegnete langsam der dritte Tropfen, während die drei im engen Bett hurtig dem Tal entgegen sausten.

Es ist ein bisschen gelogen, wenn ich behaupte, dass die Tropfen Koblumus, Schminkel und Marco miteinander gesprochen hätten, denn sprechen können sie natürlich nicht. Aber dennoch haben sie eine von uns übersehene und vergessene Identität. Die Tropfen spüren diese Identität, und können Informationen darüber austauschen, so auch über frühere Erlebnisse. Gerade als die drei in einer Kurve eng aneinander gedrückt wurden, fiel Schminkel auf, dass Marco ein eigenartiges Aroma hatte: „Du schmeckst aber seltsam,“ bemerkte er zurückhaltend zu Marco, worauf dieser stolz erwiderte: „Ja, das ist die Essenz der Hingabe, der Geschmack der Emotion, das ist der teure Duft des vergessenen Tanzes. Als Tropfen bin ich geboren, auf der Stirn eines Tänzers in Samarkant. Es war in der Glut der Abendsonne, dass die Prinzessin sich die Zeit vertreiben wollte, und einen Tanz verlangte, wie noch keine Füße auf Erden gesprungen sind. Lange ließ sie nach den besten Tänzern suchen, bis er im fernen Indien endlich gefunden ward. Und an diesem Abend trieb sie ihn immer weiter an. Sie warf ihm fordernd feurige Blicke zu, die seinen Schritt immer mehr beschleunigten, kein Zuschauer konnte sich im Stuhl halten, alle sprangen auf, entzückt und zugleich beängstig ob des Dämons, der von beiden Besitz ergriffen. Und endlich kommt der Höhepunkt des Tanzes. Der Tänzer springt hoch in die Luft, die Prinzessin wirft ihm ergeben einen Kuss zu, und der Tänzer bricht tot am Boden zusammen. Ich, Marco, bin der letzte Schweißtropfen dieses Tanzes, ich bin die wilde Emotion.“ „Da hast du Glück noch geboren zu sein. Du hast eine sehr eigenartige Geschichte, aber was ist mit Dir, Schminkel? Du schaust so traurig drein?“ antwortet Koblumus. Darauf Schminkel: „Ich bin entstanden in der Hoffnung, ich bin ein Produkt der liebenden Sehnsucht. Ich bin der letzte Tintenklecks unter einem Liebesbrief. Ich floss aus der Hand eines indischen Tänzers. Viele sagen diese Hand hat dem besten Tänzer der Welt gehört. Man erzählte ihm, dass die schöne Prinzessin von Samarkant den besten Tänzer der Welt sucht und sich alle an ihrem Hofe messen. Und tatsächlich haben die Diener der Prinzessin den Tänzer nach Samarkant geholt. Und all das Lob der Poeten über die Schönheit der Prinzessin war bestätigt und der Tänzer verliebte sich unsterblich in die Prinzessin. Dann endlich kam sein großer Tag, an dem er der Prinzessin vortanzen durfte und er schrieb einen heißen Brief der Liebe, den er ihr nach seinem Tanze überreichen wollte. Doch wie Marco erzählt, kam es nie dazu.“

Das Bett des Baches wurde breiter, es war schon gar kein Bach mehr, eher schon ein Flüsschen. Doch gab es hier und da immer wieder kleine Strudel, in denen sich die Geschichten der Tropfen immer und immer wiederholten. Die drei Koblumus, Marco und Schminkel kannten nun ihre Geschichten. Sie waren nun in ruhigeren Teilen des Flusses angekommen.

Da kam ein anderer Tropfen ganz nah zu ihnen und fragte: „Wer bist Du? Ich meine Dich schon gesehen zu haben.“ Und die drei Tropfen antworteten: „Wir sind die Hoffnung und Handlung des vergebenen Tanzes. Auch dich meinen wir zu kennen. Wer bist du?“ „Ich bin der Tropfen der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit. Ich bin die letzte Träne des Lebens, die die schönste Frau von Samarkant vergoss als das Gift, das sie genommen ihren Geist vernebelte. Die Prinzessin von Samarkant hatte sich unendlich in einen indischen Tänzer verliebt, der ihr bei seinem Tanz die Sinne raubte. Und gerade als sie ihn durch einen Kuss erwählte, brach er tot zusammen. An seinem toten Körper fand man dann einen Liebesbrief, den er am Abend vorher an die Prinzessin geschrieben hatte. Sie wurde ja jahrein-jahraus nicht mehr glücklich und so hat sie ihrem Unglück selbst ein Ende bereitet und so mich geboren.“

Still vereinigten sich die 4 Tropfen und schwebten stumm den Strom hinab, bis sie in dem Becher endeten, mit dem 2 Liebende sich den Durst löschten. Und so erzählt uns jeder Schluck eine neue Geschichte, die meistens gut endet.