Post: Velotour Schwyz
Es ist halb sieben nach einer Nacht im Schlafsessel, wobei dieser jedoch nur sehr unregelmäßig Schlaf gegönnt hat, durch häufige Pausen auf gleißend erleuchteten Bahnhöfen, in denen das beruhigende Rattern über die Schienen verstummte und nur das Sägen der Mitfahrenden die erleuchtete Ruhe zerriß. Der Morgen dämmert langsam und Ich bereitete mich zum Aufbruch, denn um zehn vor sieben soll die Bahn im badischen Bahnhof in Basel einzug halten. Ich schleudere mein geringes Hab aus dem Zug und passiere den Zoll ohne scheele Blicke der morgendlich gelangweilten Zöllner auf mich zu ziehen. Dann geht es mit dem Velo zur Stadt, gewiesen durch eine Informationstafel. Ein erster Höhepunkt beim Überqueren des Rheins über der mittleren Brücke, wo bei die dichte klassische Häuserwand direkt am Fluß dem Auge im frühen Sonnenlicht schmeichelte. Haus an Haus ge baut gleich auf dem Felsen, der fließend in den Rhein ragt. Hinter der Brücke fuhr ich rechts, lag näher, um dann ein wenig nach der Beschilderung für den Bahnhof Ausschau zu halten, damit ich dort mein Gepäck unterbringen kann und um einen Stadtplan zur Orientierung bei der Information zu holen, die beim Bahnhof sein sollte. Das Gepäck konnte ich gut verstauen, doch da es noch sehr früh war, ungefähr acht Uhr, und die Information noch geschlossen hatte, beschloss ich zur zweiten Information im Stadtkern auf den Barfüsserplatz zu fahren. Dort scheint jede Minute eine Straßenbahn um die Ecke zu fahren, und man meint halb Basel eilt oder flaniert über den Platz.
In der Information wurde dann der Grundstein für meine weitere Reise gelegt, dort wurden mir, neben den Sehenswürdigkeiten in Basel, die nationalen Velorouten nahegelegt. Es sollte beginnen mit der Route nro. 3, die Nord- Süd Route, von Basel nach Aarau, wobei der Beschreibungstext in der Broschüre lautet:
- Basel – Aarau (60 km): Ihre Reise beginnt in der Chemiestadt Basel. Dann aber wartet der Jura mit seinen Kontrasten auf und Sie befinden sich mitten in der Fricktaler Kirschenkultur und sanften aber steigungsintensiven Hügeln Geniessen Sie den herrlichen Blick aufs Mittelland.
Darauf folgt Route 8, die Aare-Route, die mich von Aarau nach Bern führen soll, wobei die Broschühre sagt:
- Aarau – Solothurn (56 km): Dieser reizvolle Abschnitt führt sie durch die liebliche Flußlandschaft zwischen Berken, Aarwangen und Wolfwil und dann in die Fußgängerzone von Olten und Aarau.
- Solothurn – Biel (32 km): Der Aarelauf wurde im Verlauf der Juragewässerkorrektion zwischen Büren und Biel begradigt, danach aber windet sich der Fluß in vielen Schlaufen durch ein fruchtbares Land der Stadt Solothurn entgegen. Bald schon grüßen Sie die Türme einer Kathedrale aus der Ferne und Sie sehen Solothurn, die Barockstadt mit den malerischen Altstadtgässchen und Boulevard-Cafés vor sich.
- Biel – Bern (50 km): Vor Bern grüßt Sie der Wohlensee, davor noch beginnt ein munteres Wechselspiel zwischen Naturparadiesen und Stromgewinnung, das Gemüseland und der Bieler See prägen Ihre Fahrt
Folgend geht es auf die nro. 4, die Alpenpanoramaroute, wobei es heißt:
- Thun – Gruyère: Die Route führt Sie im munteren Auf und Ab ins Land der Gegirgsflüße Sense und Saane. Immer wieder bieten sich Ihnen tolle Aussichten in die Berner und Freiburger Alpen. Auf halber Strecke sollten Sie einen Zwischenstopp in der malerischen Altstadt von Fribourg einlegen.
- Gruyère – Aigle (66 km): Das letzte Teilstück der Alpenpanoramaroute führt Sie vom mittelalterlichen Städtchen Gruyère durch das für seine Milch, Sahne und Käseprodukte bekannte Greyzer-Land wieder hinauf ins Gebirge zum Lac de l’Hongrin und auf den Col de Mosses. Sie können aber auch das Postauto nehmen! Die rasante Talfahrt ins Rhonetal und zum Reiseziel im Weinstädtchen Aigle schließt die Tour ab.
Zum Schlußfolgt ein Stück der Rhoneroute von Aigle nach Lausanne in dem es heißt:
- Aigle – Lausanne (43 km): Ab Villeneuve werden der Genfer See, das Panorama der Savoyer Alpen und die Weindörfer des Lavaux Ihre Wegbegleiter sein. Besuchen Sie das an der “Schweizer Riviera” gelegene SchloßChillion und die Seepromenade von Monteux, wo im Juli das Jazzfestival stattfindet.
Dies also die bezaubernde Beschreibung des Weges der noch vor mir liegt.
Aber zunächst galt es Basel zu erobern. Zuerst habe ich beim Rathausplatz in einem Hinterhof beim roten Engel gefrühstückt, um gestärkt über die mittlere Brücke zur Rheingasse und zum Rheinweg zu fahren, um vom Nordufer des Rheins einen Blick auf die Häuser zu werfen. Dann ging es ins St. Alban Tal, wo mir in besonderer Erinnerung die Stadttor Festigungsanlagen geblieben sind, wunderbar erhalten mit einem freien Platz auf der Innenseite.
Die Atmosphäre in Basel ist wunderbar, sehr international, es wird schwyzerdeutsch, deutsch, französisch und ein wenig englisch gesprochen, viele junge interessante Leute, die zwischen den alten Häusern spazieren oder in Cafés sitzen. Dann bin ich nach Süden über den Bahnhof gefahren und habe das städtiche Basel binnen kurzer Zeit verlassen, um mich auf einem Hügel neben Äckern wiederzufinden. Ich habe auf einer Bank Ruhe gesucht, Basel überblickt und ein Steinchen vor der Kulisse in die Luft geworfen, dann wurde es zwölf und die Kirchen in der Stadt haben begonnen die neue Tageshälfte einzuleuten. Das alles bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel.
Dann habe ich etwas auf dem Barfüsserplatz gegessen, meine Sachen vom Bahnhof geholt und mich, der Route 3 folgend, um 14 Uhr auf den Weg nach Aarau gemacht. Der Weg war etwas hügelig, aber nicht viel. Unangenehm war, dass man eine lange Zeit durch urbane Gebiete fuhr, die ersten 20 km schienen ein loser Vorort von Basel zu sein und man folgte einer Bahnstrecke.
Erst ungefähr 20 km vor Aarau begannen die Wiesen und Wälder vorhand zu gewinnen und Waldstücke streuten sich ein. Kurz vor Aarau erreichte ich die ersten steilen Anstiege, die meine Kondition noch überstiegen, so dass ich absteigend sie erklimmen musste. Danach folgte eine rasante Fahrt mit über 50 km/h nach Aarau, wo ich einen Reiter um den Weg fragte. Aarau liegt erhöht über der Aare und ist ein bezauberndes Städtchen voll mit mittelalterlichen greisen Häuschen mit vielen Giebeldächern, die Straßen sind voller junger Leute und viele Geschäfte stehen in der Innenstadt. Daher schätzte ich die Einwohnerschaft auf mindestens 50.000, und war überrascht zu hören, dass die Stadt nur 15.000 hat. Ab kurz nach 18 Uhr habe ich vor Falks Haus gewartet, weil mich sein Mitbewohner nicht hereinlassen wollte. Am abend sind wir noch in ein Lokal gegangen um Bier zu trinken und Shisha zu rauchen.
Am nächsten Morgen habe ich dann in einem Café gefrühstückt, und startete gegen 10 Uhr mit der nächsten Phase: stromaufwärts der Aare Quelle entgegen. Die Aare ist hier ein wilder Fluss, türkis gefärbt durch das Schmelzwasser aus den Bergen. Ganz nah führte die Route am Kernkraftwerk von Mülidorf vorbei, deren Wasserdampfsäule steil in den Himmel ragte, die Windstille war ein günstiges Zeichen für das Hochdruckgebiet aus dem Süden, das mich auf meiner gesamten Reise günstig begleitete.
In Olten war es dann soweit, dass das Verlangen überhand nahm und ich mir in einem Messerladen ein schweizer Taschenmesser kaufte. Dann war es beeindruckend sich Aarburg zu nähern, denn die Burg liegt auf einem Hügel, und davor steht eine Kirche, die den Reisenden Ehrfurcht erfordert. Hier fühlt man sich wie ein Reiter im Mittelalter, der von einem Ort zum nächsten reist. Nach Aarburg verlief der Weg allerdings neben einer vielbefahrenen Bundesstraße, was viel Vorstellungskraft vom imaginären Reiter erforderte.
Gegen den frühen Nachmittag erreichte ich Solothurn, ganz und gar ein barockes Freilichtmuseum. Große Festungsmauern durchziehen die Stadt und auf deren Innenseite sind barocke Häuser mit Fensterläden, voller Fensterläden, eine ganze Straße rechts und links über und über mit Fensterläden und in der Paterre kleine Lädchen. Von Solothurn geht es durch Äcker recht waagerecht weiter, eingerahmt von über 200 m höheren Bergen Richtung Biel.
Biel erreiche ich gegen 18 Uhr und fahre zuerst zur Information um einen Stadtplan und eine Unterkunft zu bekommen. Letzteres ist eine Loggia in Nidau in einem Zimmer mit drei weiteren Bewohnern. Biel kam mir hauptsächlich französischsprachig vor, ist aber zweisprachig, daher kommt man auch mit deutsch einigermaßen weit. Einen meiner Mitbewohner fragte ich, woher er käme, und er sagt aus Deutschland. Da ich das schon an seiner Sprache erkannt hatte, fragte ich weiter und er verriet, dass er aus Magdeburg kommt, aus der Annastraße, und dass er beim Schellheimer Platz zur Schule ging. Die Welt ist klein. Er arbeitet bei einer Firma die Frässmaschienen herstellt und lebt vorläufig in der Jugendherberge weil er eine richtige Wohnung sucht, ähnlich wie die zwei Anderen, wovon einer aus Pforzheim und der dritte aus der Schweiz kommt.
Am nächsten morgen habe ich zwei Baguette gekauft, bin in Biels Altstadt gefahren und habe sie auf einem Platz an einem Brunnen mitten zwischen mittelalterlichen Häusern gegessen. Dann ging es weiter nach Bern. Der erste Teil führte am Bieler See vorbei, am Ende eines Kanals in Aarburg wurde der Weg in einen Wald geführt, mit einigen unbeschilderten Abzweigungen, so dass ich mich bei zwei Spaziergängerinnen des Weges versichern musste, die ihre ausgewachsenen Wölfe zum toben ausführten. Ich versuchte mit etwas Holz Feuer an einer Feuerstelle zu entfachen, was allerdings nicht gelang, dann ging es weiter durch Wald, Wiesen und Ackerlandschaft. Kurz vor Bern, nahe Wohlen wohl, hatte sich ein Dorf mit Metallkunst geschmückt. Metalldrähte, die so verbogen waren, dass verschachtelte Kuben, Doppelhelices oder noch abstrakteres von den Bäumen hing.
In Bern war es schwierig die Information zu finden, doch gegen 14 Uhr habe ich dann meine Sachen bei Annett in den botanischen Garten gebracht und bin ausgezogen Nahrung zu suchen. Bern ist eine internationale Stadt und sprudelt vor Leben, vorallem am Bahnhof, ein reges Gedränge herrscht dort. Die Altstadt ist etwas leerer, aber wunderbare Läden warten dort ihre zauberhaften Waren zu verkaufen: Teppichhändler aus Fernost, alte Apotheken, Floristen und vorallem Buchantiquariaten und Gebrauchthändler. Viele Läden sind im Erdgeschoßin die man erst durch Falltüren in der Straße gelangt. Auf dem Münsterplatz treffen sich jugendliche, hören Musik, spielen Tischtennis, sitzen auf Bänken, trinken beim Café. Am Abend werden dann Neuigkeiten mit Annett ausgetauscht.
Am nächsten Tag geht es gegen 11 Uhr auf dem regionalen Veloweg nro. 74 Richtung Fribourg. Der Weg führt durch Almlandschaften, hinauf und hinunter durch eine vielzahl kleiner Dörfer mit alten Kirchen, kleinen Marktplatz und steinernen Häuschen, dazwischen Bauernhäuser aus Holz vor denen eine Bank steht, Blumenkästen, ein Brunnen, Brennholz, ein alter Holzkarrenund altes Lnadwirtschaftsgerät hängt an der bemalten Fassade. Schon erschöpft durch das Auf und Ab, trotzdem hoffnungsvoll, da Fribourg nicht mehr weit sein kann, geht es von einer Alm mit Bauernhöfen Bergab in ein kleines Waldstück. Das Velo wird schneller, schon fährt es vierzig und ich achte auf den Boden um Schlaglöchern auszuweichen und den Autos fern zu bleiben. Obwohl das Hochdruckgebiet nochimmer blauen Himmel gönnt ist die Luftfeuchtigkeit hoch und in der Ferne erkennst man alles nur verschwommener.
Das Waldgebiet ist erreicht, das Velo immer noch schneller, eine rechtskurve und aus dem Nichts taucht ein Tal mit einer riesiegen Kathedrale durch die Zweige auf, die Konzentration muss weiter auf der Straße bleiben, um den majestätischen Kathedralenturm stehen unzählige Häuser, nur erkennbar an ihren rot-vergilbten Dachziegeln, immer mehr Autos drängen von vorn und hinten, eine riesige steinerne Bogenbrücke führt zur Stadt. Ich selbst sause mit dem Verkehr auf eine andere Brücke , immer noch ist die Stadt neben mir, jetzt deutlich in den Augenwinkeln sichtbar, vielstöckig stehen die Häuser auf einem Felsen, der noch tiefer fällt. Die untere Felskante ist Bäumen bewachsen davor stehen wieder alte Barockhäuser bis hin zum Fluss. Ich erreiche die große Brücke, die den Fluss überspannt. Der Fluss wirft sich gegen einen 150 m hohen Felsen, prallt jedoch im engen Winkel wieder ab, und auf dieser Landzunge ist Fribourg gebaut.
Und schon ist die Brücke überquert, ich bin in die Stadt eingetaucht, altertümliche Häuser, ein Springbrunnen, Autos wuseln herum, vorbei an der Kathedrale, Menschen gehen einkaufen und warten auf Busse und ich atme die Almluft aus und das Stadtleben ein. Über die Rue de Lausanne, Rue de Romont und Rue de Gare geht es zur Information, die Leute reden französisch, gestikulieren, sitzen auf der Straße vor Cafés. Bauarbeiten auf einer Straße führen zu einem halben Verkehrschaos. Ich gehe in eine Jugendherberge und teile ein Zimmer mit einem Franzosen aus Bordeaux, der ein einwc̈higes Kompaktstudium in Geophysik macht und einem Berliner Paar das nach Lausanne trampt. Dann gehe ich wieder die Stadt erkunden. Im Münster findet um sechs eine katholische Liturgie statt, auf der Straße fährt ein bärtiger Mann mit seiner Katze um den Hals Velo, die aufmerksam die Umgebung überwacht.
Am nächsten Morgen geht es weiter, den Traum Fribourg hinter sich zu lassen. Auf der anderen Seite ist die Stadt enttäuschend normal, langsam findet der b̈ergang von Stadt zur Alm statt. Zuerst Bilder wie vom Vortag: hübsche alte Dörfer, große stilechte Bauernhäuser, Kühe, Pferde weiden, auch ein paar Schafe und Ziegen. Aber die Höhenunterschiede nehmen zu, schon erahnt man in der ferne im Dunst die großen Alpen.
Gruyère bietet ein imposantes Bild von weitem. Links ein majestätischer Berg der den Himmel berührt, rechts zwei Kolosse, die ab der Hälfte ihrer Höhe mit Schnee bedeckt sind und dazwischen ein vergleichweise kleiner Felsen, auf dem die Burg steht. Es ist zwölf Uhr, das Städtchen um die Burg ist authentisch mittelalterlich, und nur wenige, um die 30 Bewunderer, sind in der Touristenhochburg, die jährlich eine millionen Interessierte anzieht. Nach dem Essen im Restaurant geht es um halb zwei weiter. Gruyère markiert das Tor zu den Alpen, die Riesen gaben den ersten Geschmack und von da an wurde die Fahrt rauher. Es ging Berge hinunter und andere wieder hinauf und plötzlich zeigte die Routenmarkierung in eine Schlucht. Die Straße hatte viele Schlaglöcher und dunkler Wald war drumherum. Bald gähnte ein tiefer Abgrund auf der linken Seite, dessen Boden ich gar nicht sehen konnte.
Es ging steil hinauf und hinab. Irgendwann überquerte ich ein Flüsschen worauf es wieder Bergauf ging und immer Wald herum, dann ging es wieder steil hinunter mit dem Abgrund auf der linken. Immer mehr Überreste von Steinschlag lagen auf dem Boden, Holz und Laub sammelte sich auf der Straße, auf der offensichtlich seit langen kein Auto fuhr. Es wurde schattiger und die Schneedecke die sonst ein paar Meter entfernt war zog sich jetzt fest über den Weg, ich rutsche hinüber konnte nur schieben und wieder ging es bergauf und bergab und dann lange und steil bergauf und keine Spur von Menschen, der Talkessel stieg zu beiden Seiten steil an, nicht einmal Aussicht auf Besserung. Die ganze Zeit auch kein Hinweis, dass man auf dem rechten Weg sei, kein roter Velowegweiser. Dann in der Ferne etwas, das wie eine Brücke aussieht, eine Eisenbahnbrücke, aber immerhin Zivilisation.
Es ging immer noch bergauf, der schroffe Felsen diesmal links, der Abgrund rechts eine scharfe Kurve nach links und plötzlich ein gähnendes schwarzes Loch auf dem Weg, ein Tunnel durch den Felsen. Eine starke Prüfung in so ein Loch zu steigen, aber zurück geht es nicht, zu viel Schnee, zu anstrengend und vielleicht ist man ja doch auf dem richtigen Weg. Also Licht installieren und hinein in die Finsternis. Ich betrat vom Sonnenschein die Höhle und sofort war alles duster, aber auf der anderen Seite konnte man zum Glück den Schein des Ausganges erkennen. Der Tunnel war beeidruckend, es existiert nur vorne, hinten ist vergessen, die Seiten sind schwarz verschluckend, man hört das Wasser von der Decke tropfen und erkennt Wasserlachen auf dem Boden.
Und endlich ist man durch! Die Brücke entpuppt sich als Staudamm, und was noch besser ist, das rote Velosymbol, der Wegweiser ist da. Ich bin richtig! Und zur Krönung sind dort zwei Touristengruppen, die sich den Lac de l’Hongrin Staudamm ansehen. Der Eintritt in die wilde Schlucht und der Austritt aus dem Tunnel haben knapp zwei Stunden gedauert, und doch erschien es ewig. Nach den Erlebnissen wollte ich nur noch den nächsten Schlafplatz finden, hier sind Städte ja nicht so dicht gesät. Also landete ich in einem viel zu teuren Hotel in La Lécherette bei über 1400 m.
Am nächsten morgen ging es um viertel 10 vom Hotel weiter. Die Temperaturen waren höchstens knapp über null, auf dem Weg führten Schneebedeckte Zweitausender und Skipisten an die Straße und ich traf mehrere Wintersportler. Aigle war 21 km entfernt und zu Beginn ging es ein wenig bergauf, dann jedoch senkte sich der Anstieg zum Abfall, das Velo beschleunigte und erreichte schnell das vorgeschlagene Tempolimit von 50 bis 60 km/h. Ich sauste von den Zweitausendern weg, rechts zischten kantige Felsen vorbei, links und vorne öffnete sich der Abgrund, dem man sich unentwegt näherte. Die Konzentration war aber ganz auf die Straße gerichtet, mit den Bremsen fest in der Hand, Unebenheiten ausweichend und überholende Autos passieren lassend.
Nach etwas mehr als einer halben Stunde rasanter Abfahrt erschien scheinbar eine Ebene in Fahrtrichtung. Als ich jedoch etwas höher in den Himmel schaute, erkannte ich schümmrig in der hohen Luftfeuchtigkeit riesige Berge auf der anderen Seite der Ebene. In dem Tal tauchte eine Burg und die Stadt Aigle auf. Schnell war Aigle kurz vor 11 erreicht und die Routenschilder kündigten den nächsten bedeutenden Zwischenstopp Montreux am Genfer See in knapp 20 km Entfernung an. Das schien eine gute Entfernung für die Mittagspause zu sein.
Das Velo hatte bisher hervorragende Leistungen erbracht, kein Murren bei Anstiegen und sanftes Surren bei den Abfahrten. Auch eine Stunde bei 50 km/h hatte es spielend überwunden. Plötzlich aber ein derbes Schleifen und Knacken bei jeder Umdrehung des Hinterrades. Schnell stellte sich heraus, dass eine Schraube der Aufhängung des Gepäckträgers abgefallen war und jener Befestigungsstützen ins Rad hing. Ein mit Rotze auslaufender Sportvelofahrer gab eine Richtung zum nächsten Velogeschäft, als ich jedoch dort war, hatte es geschlossen, wie alle anderen Geschäfte in der Straße. Eine weitere Passantin gab mir Hoffnung, dass ein anderes Velogeschäft offen sein könnte, um mir die eine kleine fehlende Schraube zu besorgen. Glücklicherweise hatte das Geschäft geöffnet, die Schraube war schnell installiert, das Velo wieder in bester Ordnung und nach einer Stunde wilden Suchens, Verzweifeln und Hoffen ging es Richtung Genfer See.
Die Route führte an der jung gurgelnden, grün-türkisen Rhone entlang. Es war kühl, reichlich bewölkt und windig, scheinbar Ankündigungen für den Einbruch eines Tiefs in das Schönwetterhoch. Zusätzlich führte die Hoffnung, bald den Endpunkt der Expedition zu erreichen, zu einer Beschleunigung der Fahrt. An den Seiten des Rhonetals waren die Berge nur schümmrig im Hochnebel zu erkennen. Schließlich, nachdem Villeneuve durchfahren war, erreichte ich das Spielerstädtchen Montreux, ganz an die Küste gebaut mit ein paar unpassenden Hotelbauten zwischen den Villen und hauptsächlich Touristen auf den Kais-Promenaden.
Dann war Lausanne erreicht. Es wirkt wie eine französische Mittelmeerstadt, ein sichtbarer Mix der Kulturen. Kein einheitlicher Baustil im Zentrum wie in den anderen schweizer Städten, sondern unterschiedliche Architekturen. Dazu auf unterschiedlichen Höhenzügen gebaut, und lange Treppen verbinden die Stadtteile. Vom Dach der Kathedrale hatte man eine weite Übersicht zum Juragebirge, auf die französischen Alpen über Evian, zurück nach Montreux und die Zweitausender von La Lécherette. Den letzten Abend dann mit Wiebke, Elli und Falk im White Horse und anschließend etwas Wein und Käse.